Wer in der Pflege arbeitet oder arbeiten möchte, der wird sich früher oder später mit Pflegetheorien bzw. Pflegemodellen befassen. Monika Krohwinkel, Hildegard Peplau, Martha Elisabeth Rogers, Madeleine Leininger, Dorothea Orem oder Nancy Roper, all diese Namen führen auf verschiedene Theorien und Modelle in der Pflege zurück.
Auf welchen Prinzipien diese Pflegetheorien und Modelle aufbauen, welche Bedeutung sie in der heutigen Pflegepraxis haben, und wie Sie als Pflegekraft praxisorientiert durch den Theoriedschungel finden, das erklären wir Ihnen in diesem Artikel.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Geschichte der Pflegetheorien beginnt in den USA und Großbritannien
- In Deutschland haben sie sich vor allem in den 80er und 90er Jahren verbreitet
- Die Praxistauglichkeit, Notwendigkeit und Wirksamkeit von Pflegetheorien wird bis heute diskutiert
- Pflegetheorien sind nicht mit Pflegemodellen gleichzusetzen
- Pflegetheorien bieten die Grundlage für verschiedene Pflegemodelle, welche grob zusammengefasst in folgende Kategorien unterteilt werden können:
- Bedürfnismodelle (Hauptfokus liegt auf den Bedürfnissen des Menschen)
- Interaktionsmodelle (im Mittelpunkt stehen zwischenmenschliche Beziehungen)
- Pflegeergebnismodelle (Konzepte und Pflegeansätze konzentrieren sich auf das Endergebnis der Pflege)
Was versteht man unter Pflegetheorien?
Pflegetheorien – Definition
Unter dem Begriff ‚Pflegetheorien‘ versteht man eine Gesamtheit von abstrakten Konzepten, welche es ermöglichen sollen, allgemeine Begebenheiten aus dem Pflegebereich zu erklären. Sie dienen also dazu, Pflegeverständnis zu vermitteln, und bieten somit die Grundlage für Handlungen in der Pflegepraxis. Pflegetheorien werden in der Praxis kontinuierlich bestätigt, erweitert oder aber disqualifiziert. Pflegetheorie und Pflegepraxis beeinflussen sich also wechselseitig.
Pflegetheorien – Geschichte
Die ersten Ansätze zur Entwicklung von Pflegetheorien sind Anfang der 50er Jahre in den USA und in Großbritannien zu finden. Bis zum Beginn der 80er Jahre versuchten Pflegewissenschaftler mit solchen Theorien ein Ideal des pflegerischen Handelns auszuarbeiten, wobei nach allgemeingültigen Konzepten gesucht wurde, ohne dabei auf individuell unterschiedliche Einzelfälle einzugehen. Aufgrund der begrenzten Praxistauglichkeit dieser Ansätze kam es daraufhin zu einem Theorienpluralismus und Bemühungen, diese zahlreichen Theorien praxisbezogen zu strukturieren. In Deutschland etablierten sich die Pflegewissenschaften offiziell im Jahr 1987 mit einer ersten Professur an der Fachhochschule Osnabrück.
Pflegetheorien und Modelle
Pflegetheorien werden oft mit Pflegemodellen gleichgesetzt. Nimmt man es allerdings genau, haben diese Begriffe unterschiedliche Bedeutungen. Ein Pflegemodell ist eine vereinfachte, praxisbezogene Form einer oder mehrerer abstrakter Pflegetheorien. Modelle machen zwar – genauso wie Pflegetheorien – allgemeingültige Aussagen über den Menschen, dessen Umgebung und seine Pflege, jedoch liefern sie konkrete Angaben bezüglich der Aufgaben von Pflegekräften, der Pflegeziele sowie einer möglichen Pflegeplanung. Dank dieser Praxisnähe helfen Pflegemodelle bei der Überprüfung von Pflegetheorien.
Gut zu wissen!
Die frühen anglo-amerikanischen Pflegetheorien haben spätere Theorien von deutschen Pflegewissenschaftlern weitgehend beeinflusst.
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Verschiedene Pflegetheorien – Beispiele
1. Pflegetheorie Peplau (Grundlage für Interaktionsmodelle)
Hildegard Peplau veröffentlicht in den USA 1952 „Interpersonal Relations in Nursing“ – eine Pflegetheorie, welche auf zwischenmenschlichen Beziehungen aufbaut. Peplaus Pflegetheorie konzentriert sich dabei auf zwei Aspekte: a) die verschiedenen Phasen des Beziehungsaufbaus b) die verschiedenen Rollen einer Pflegekraft.
2. Pflegetheorie Leininger (Grundlage für Bedürfnismodelle)
Transkulturelle Pflegetheorien, wie die von Madeleine Leininger, welche 1966 in den Vereinigten Staaten entstand, stellen die kulturelle Dimension des Menschen in den Mittelpunkt der Pflege. Die Handlungen der Pflegenden passen sich hier stets den kulturellen Besonderheiten des Individuums und seines Umfelds an.
3. Pflegetheorie Rogers (Grundlage für Pflegeergebnismodelle)
1970 entsteht die amerikanische Pflegetheorie von Martha Elisabeth Rogers, auch „Energiefeldtheorie“ genannt. Im Hauptfokus steht bei Rogers das Endergebnis der Pflege, welches durch eine holistische Betrachtung des Menschen als Energiefeld erreicht werden soll. Besteht ein Ungleichgewicht zwischen dem Energiefeld einer Person und den einzelnen Energiefeldern der Umgebung, kommt es zur Notwendigkeit der Pflege. Nach Rogers existieren acht Energiezentren im menschlichen Körper. Sind diese Energiezentren blockiert, kommt es zu physischen oder psychopathologischen Symptomen.
4. Pflegetheorie Orem (Grundlage für Bedürfnismodelle)
Die amerikanische Pflegewissenschaftlerin Dorothea Orem hat mit der Erscheinung ihres Buches „Nursing Concepts of Practice“ im Jahre 1971 eine Pflegetheorie bekannt gemacht, welche ihren Hauptfokus auf das Grundbedürfnis des Menschen legt, sich selbst zu pflegen. Dieses Selbstpflegevermögen kann durch Krankheit oder andere Umstände eingeschränkt sein. Orems Theorie orientiert sich an diesem von ihr benannten „Selbsthilfedefizit“ und entwickelt drei zentrale Ideen:
a) Selbstpflege als erlernte Tätigkeit
b) Entstehung eines Selbstpflegedefizits bei nicht ausreichendem Selbstpflegevermögen
c) Anpassung an das Selbsthilfevermögen der zu pflegenden Person durch verschiedene Pflegesysteme, welche von der Erziehung zur Selbstpflege bis hin zur vollständigen Kompensierung des Selbstpflegedefizits durch den Pflegenden reichen.
5. Pflegetheorie Roper (Grundlage für Bedürfnismodelle)
Die britische Pflegewissenschaftlerin Nancy Roper publizierte ihre Pflegetheorie zum ersten Mal 1980 in „The Elements of Nursing“. Im Mittelpunkt steht bei Roper das Leben, wobei sie sich an verschiedenen Lebensaktivitäten und der Lebensspanne orientiert, welche in dynamischer Wechselwirkung mit äußeren und inneren Einflüssen betrachtet werden. Nancy Roper stellt ebenso die Würde und Individualität des zu pflegenden Menschen in den Vordergrund. Folgende zwölf Lebensaktivitäten werden in Ropers Pflegetheorie in Betracht gezogen:
1) Für eine sichere Umgebung sorgen
2) Kommunizieren
3) Atmen
4) Essen und Trinken
5) Ausscheiden
6) Sich sauber halten und kleiden
7) Die Körpertemperatur regeln
8) Sich bewegen
9) Arbeiten und spielen
10) Sich als Mann und Frau fühlen
11) Schlafen
12) Sterben
6. Pflegetheorie Krohwinkel (Grundlage für Bedürfnismodelle)
Monika Krohwinkel ist eine deutsche Pflegewissenschaftlerin. Sie stellt ihre Pflegetheorie 1993 vor. Abgeleitet von Nancy Ropers Lebensaktivitäten, basiert diese Pflegetheorie unter anderem auf der sogenannten „ABEDL-Struktur“. Die Abkürzung ABEDL steht für „Aktivitäten, Beziehungen und existentielle Erfahrungen des Lebens“. Sind diese „ABEDL“ durch Krankheit, Behinderung oder Alter eingeschränkt, wird die Pflege notwendig. Nach Möglichkeit soll das pflegerische Handeln dem kranken oder behinderten Menschen dazu verhelfen, solche fehlenden Fähigkeiten zurückzuerwerben.
Gut zu wissen!
Neben der Unterteilung von Pflegetheorien in Interaktions-, Bedürfnis- und Pflegeergebnismodelle macht man auch Unterschiede in der Reichweite der Theorien. So spricht man von „großen“ Theorien (grand theories), welche ein hohes Abstraktionsniveau aufweisen und dadurch für viele weitere Modelle dienen können, und von Theorien mittlerer Reichweite (middle range theories), auch Pflegemodelle genannt, die praxisnäher aber dadurch auch spezifischer und somit begrenzter in ihrer Anwendung sind.
Pro und Contra von Pflegetheorien
Welchen Zweck haben Pflegetheorien? Wie notwendig und wirksam sind sie im Endeffekt?
Achtung!
Auch wenn Zweck und Notwendigkeit von Pflegetheorien aufgrund ihrer begrenzten Praxistauglichkeit seit langem hinterfragt werden, sind sie ein unverzichtbarer Baustein der Pflegewissenschaft.
Zusammenfassend und leicht erklärt könnte man es so ausdrücken: In der Praxis laufen die Dinge immer anders als in der Theorie. Die Reaktion von Menschen und die verschiedenen Lebensumstände stimmen nie hundertprozentig mit Modellen überein. Dennoch ist es sehr bereichernd und vertrauensbildend, sich in der Pflege auf einen theoretischen Rahmen stützen zu können. Ohne Pflegetheorien wären Pflegewissenschaften als Studium zudem inexistent. Die Theorie gibt der Pflegekraft professionelle Sicherheit, besonders in den ersten Praxisjahren. Die Erfahrung, die Intuition und das Einfühlungsvermögen der Pflegenden sorgen dann für eine realitätsnahe Praxis, welche sich stets den individuellen Besonderheiten und Bedürfnissen der zu pflegenden Menschen anpassen sollte.
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