Wer einen Menschen mit Behinderung pflegt und betreut, steht im Alltag vor ganz besonderen Herausforderungen. Was wünscht sich die betroffene Person? Wie gelingt ein wertschätzender Umgang? Welche organisatorische und finanzielle Unterstützung gibt es? Wo muss diese beantragt werden? Und wie können technische Hilfsmittel die Kommunikation erleichtern?
Was Sie im Alltag bei der häuslichen Pflege von Menschen mit Behinderungen bedenken sollten und welche besonderen Hilfen es für Eltern von Kindern mit Behinderungen gibt, das lesen Sie in diesem Artikel.
Das Wichtigste in Kürze
- Behinderungen sind sehr unterschiedlich ausgeprägt und können sich auf Körper, Geist oder Seele oder eine Kombination daraus beziehen.
- Eine oder mehrere Behinderungen bedeuten meist eine zusätzliche Herausforderung in der häuslichen Pflege.
- Behinderungen können der Grund für eine Pflegebedürftigkeit sein oder sich erst im Laufe der Zeit zusätzlich entwickeln, etwa durch eine Krankheit oder einen Unfall.
- Menschen mit Behinderungen haben ein Recht auf staatliche Hilfen, um Beeinträchtigungen zumindest teilweise ausgleichen zu können.
- Spezifische Hilfen gibt es für die häusliche Pflege von Kindern mit Behinderungen.
- Unterstützte Kommunikation und ein wertschätzender Umgang erleichtern die Betreuung.
Pflegebedürftige mit Behinderung
Viele Angehörige, die jemanden zu Hause pflegen, stehen vor ähnlichen Herausforderungen. Welche Hilfe ist nötig? Woher gibt es Geld? Wie lässt sich das beantragen? Wer jemanden mit einer Behinderung zu Hause versorgt, muss meist noch weitere Details bedenken. Je nach Art und Schwere der Behinderung können Betroffene beispielsweise ihre Wünsche nicht (mehr) klar äußern, haben einen besonderen Pflegebedarf oder – im Fall von Kindern mit Behinderungen – stellen die ganze Lebensplanung auf den Kopf, da die Pflege wahrscheinlich eher Jahrzehnte als Jahre nötig sein wird.
Aktuell leben etwa 10,4 Millionen Menschen mit einer offiziell anerkannten Behinderung in Privathaushalten in Deutschland. Davon sind etwa 5,5 Millionen über 65 Jahre alt. Die Anzahl der offiziell Pflegebedürftigen wird in Deutschland auf etwa 4,1 Millionen beziffert. Wie groß die Schnittmenge zwischen beiden Gruppen ist, wird nicht erfasst. Es ist allerdings davon auszugehen, dass insbesondere viele Pflegebedürftige in den Pflegegraden 1 und 2 „nur“ einen Pflegegrad haben und nie einen Antrag auf Anerkennung einer Behinderung gestellt haben. Gleichzeitig haben Millionen Menschen mit einer anerkannten Behinderung keinen Pflegegrad. Beides muss also nicht zwangsläufig zusammen auftreten, kann es aber.
Wenn sowohl eine Pflegebedürftigkeit als auch eine Behinderung vorliegen, müssen Angehörige sich zunächst einmal in die besonderen Lebensumstände einfinden, viel recherchieren und womöglich ihren Alltag umstrukturieren. Positiv ist: In Deutschland gibt es spezielle Unterstützung für Pflegebedürftige mit Behinderungen beziehungsweise ihre Angehörigen. Leistungen wie die Eingliederungshilfe, den Behindertenpauschbetrag oder Nachteilsausgleiche können Betroffene zusätzlich zu den Leistungen der Pflegeversicherungen erhalten. Wichtig zu wissen ist, wann, wo und wie man diese beantragen kann. Außerdem ist entscheidend zu wissen, wer überhaupt als „behindert“ gilt und die Extraleistungen erhalten kann.
Was ist eine Behinderung?
Es ist gar nicht so leicht, das Wort Behinderung zu definieren. Zum einen handelt es sich um eine persönliche Einschätzung, die auch von den äußeren Umständen abhängt. Zum anderen ist der Begriff in Deutschland ein Teil des Sozialrechts und somit juristisch definiert.
Individuelle Einschätzung
Die persönliche Einschätzung hängt oft davon ab, ob die Beeinträchtigung von Geburt an bestand oder erst im Laufe des Lebens durch eine Krankheit oder einen Unfall auftrat. Wer beispielsweise mit nur einem Arm geboren wurde, fühlt sich eventuell gar nicht beeinträchtigt, sondern nur besonders, weil die meisten anderen Menschen nun mal zwei Arme haben. Eine Beeinträchtigung ist die Besonderheit nur manchmal, weil unsere Gesellschaft auf Zweiarmige ausgerichtet ist.
Ganz anders kann es sein, wenn jemand durch einen Unfall einen Arm verliert. Dann wird dies höchstwahrscheinlich als große Beeinträchtigung wahrgenommen – und zwar ständig. Ob jemand sich selbst „behindert fühlt“, hängt also von persönlichen und gesellschaftlichen Faktoren ab.
Definition im Sozialrecht
Das Gesetz geht von einer Behinderung aus, „wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht“. So steht es im Sozialgesetzbuch 9, Paragraf 2. Weiter ist definiert: Es kann sich dabei um „körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen“ handeln, die die Betroffenen „in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können“. Daher erhalten Betroffene bestimmte Leistungen, „um ihre Selbstbestimmung und ihre volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern, Benachteiligungen zu vermeiden oder ihnen entgegenzuwirken“.
Der komplizierte Gesetzestext enthält viele wichtige Details:
- Es gibt sehr unterschiedliche Behinderungen, genauer gesagt in Bezug auf Körper, Geist, Seele und/oder die Sinne, wie etwa das Hören und Sehen. Mit einer Behinderung können also so unterschiedliche Diagnosen wie ein fehlender Körperteil, das Downsyndrom, eine Angststörung oder eine starke Schwerhörigkeit gemeint sein.
- „Einstellungsbedingte Barrieren“ meint: Nicht nur klassische Barrieren wie Treppen sind ein Problem, sondern auch die persönlichen Einstellungen, sprich: Vorurteile, von Nicht-Betroffenen. Manchmal sorgt erst deren Verhalten dafür, dass aus einer Besonderheit eine tatsächliche Behinderung wird. Wenn jemandem nichts zugetraut wird, „weil er ja behindert ist“, dann hat derjenige oft auch keine Chance zu zeigen, was er eigentlich könnte.
- Menschen mit Behinderungen können wegen verschiedener Barrieren oft nicht so am gesellschaftlichen Leben teilhaben, wie sie es gerne würden.
- Dies ist nicht nur eine vorübergehende Einschränkung, sondern sie ist dauerhaft für mindestens ein halbes Jahr vorhanden, oft ein Leben lang.
- Eine solche Einschränkung ist unfair. Daher versucht der Staat mit entsprechenden Leistungen, die Nachteile abzufedern.
Je nach Diagnose, äußeren Umständen und persönlichen Einstellungen können Behinderungen sehr unterschiedlichen Einfluss auf das Leben haben. Manche Beeinträchtigungen sind vergleichsweise leicht und können mit den passenden Hilfsmitteln gut ausgeglichen werden. Ein typisches Beispiel ist eine Seh- oder Hörschwäche, die mit einer ausreichend starken Brille oder einem Hörgerät gut kompensiert werden kann. Andere Menschen hingegen sind von so schweren oder mehrfachen Beeinträchtigungen betroffen, dass sie ohne technische und persönliche Unterstützung nicht überleben könnten. Die Pflege und Betreuung sind für Angehörige dann besonders herausfordernd.
Grad der Behinderung
Um das auch juristisch abzubilden, gibt es in Deutschland den sogenannten Grad der Behinderung (GdB). Wenn dieser offiziell festgestellt wird, haben Betroffene die Möglichkeit, spezifische Leistungen je nach Diagnose und Schwere ihrer Beeinträchtigung zu nutzen.
Gut zu wissen!
Die Grundlage für die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen ist die UN-Behindertenrechtskonvention, offiziell: Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Es soll die Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen weltweit verbessern, die bisher oft diskriminiert werden, am Rande der Gesellschaft leben und kaum Chancen haben, aus eigener Kraft ihr Leben zu verbessern. Das Übereinkommen trat 2008 in Kraft und wurde 2009 von Deutschland ratifiziert, also verbindlich angenommen.
Der GdB wird in 10er-Schritten von 20 bis 100 definiert. Ab einem GdB von 50 gelten Betroffene als „schwerbehindert“. Dann können sie beziehungsweise ihre Angehörigen besonders viele und/oder teure Hilfen nutzen. Die verschiedenen Leiden und ihre mögliche Bepunktung sind gesetzlich festgelegt in der Versorgungsmedizinischen Verordnung.
Beispiele für eine leichte Behinderung mit einem GdB von 20 bis 30 wären
- mittelstarke Migräne (häufige Anfälle, jeweils einen oder mehrere Tage anhaltend)
- leichte Form von Parkinson (geringe Störung der Bewegungsabläufe)
- mittlere Schwerhörigkeit
- schwere chronische Bronchitis mit regelmäßigen akuten Schüben
- Verlust einer Niere oder eines Daumens
Bei Kindern auch zum Beispiel
- mittelstarke Lese-Rechtschreibschwäche, die die Schulleistungen beeinträchtigt
- leichtes Asthma
Beispiele für eine schwere Behinderung mit einem GdB von 50 bis 60 wären
- Hirnschäden mit psychischen Störungen, die sich im Alltag deutlich auswirken
- sehr starkes Stottern oder Stimmlosigkeit
- eingeschränkte Lungenfunktion mit Atemnot bei alltäglicher leichter Belastung (etwa Spazierengehen bei 3 bis 4 km/h oder Treppensteigen bis zu einem Stockwerk)
- mittelstarkes Rheuma (dauernde erhebliche Funktionseinbußen und Beschwerden)
- Verlust eines Unterarms
Wenn jemand mehrere Einschränkungen hat, werden die Punkte nicht einfach addiert, sondern es wird nach einem bestimmten Verfahren ein Gesamt-GdB ermittelt. Davon abhängig können Betroffene dann verschiedene Extrahilfen erhalten. Die Leistungen für Menschen mit Behinderungen können ab einem GdB von 20 in gewissem Umfang genutzt werden. Ab dem GdB 50 gibt es Leistungen für Schwerbehinderte.
Behinderung anerkennen lassen
Um die Leistungen für Menschen mit Behinderungen nutzen zu können, muss die Behinderung offiziell festgestellt werden. Dafür gibt es ein festgelegtes Verfahren. Einen Antrag können Betroffene beim zuständigen Versorgungsamt stellen. Wo dieses sitzt, unterscheidet sich von Region zu Region. Im Ortsverzeichnis des Niedersächsischen Landesamts für Soziales, Jugend und Familie lässt sich das zuständige Versorgungsamt für alle Orte in Deutschland per PLZ-Suche herausfinden.
Der Antrag ist kostenlos und in der Regel rein schriftlich. Es findet also keine Untersuchung statt, sondern es werden die persönlichen Einschränkungen im Antrag beschrieben und entsprechende Nachweise, etwa vom Hausarzt, von der Fachärztin, der Reha-Einrichtung oder vom Pflegedienst, eingereicht. Es ist egal, ob die Behinderung sichtbar ist. Eine auf den ersten Blick nicht-erkennbare Depression oder eine schwere Darmstörung kann genauso zu einem GdB berechtigen wie eine offensichtliche Einschränkung.
Nachdem das zuständige Amt die Unterlagen geprüft hat, weist es der betroffenen Person einen GdB zu oder lehnt eine Anerkennung ab. Falls kein GdB zugewiesen wird, hat dies keine Auswirkungen auf einen vorhandenen Pflegegrad. Die beiden Verfahren sind voneinander unabhängig.
Rechte von Menschen mit Behinderungen
Jeder Mensch hat Bedürfnisse und Wünsche und ein Anrecht darauf, dass diese – sofern möglich – erfüllt werden. Das gilt für Grundbedürfnisse wie Essen und Trinken genauso wie für die Jobauswahl oder den Wunsch, häufiger in ein Konzert zu gehen. Menschen mit einer oder mehreren Behinderungen können ihre Bedürfnisse und Wünsche aufgrund der Umstände aber oft nicht so gut äußern oder umsetzen. Spezifische Unterstützungsleistungen sollen das ausgleichen.
Leistungen für Menschen mit Behinderungen
Wer einen Pflegegrad und eine Behinderung anerkannt hat, kann auch aus beiden Bereichen Unterstützung erhalten. Die Leistungen sind gleichrangig, dürfen also nie abgelehnt werden, weil jemand aus dem anderen Topf schon etwas erhält. Das hängt damit zusammen, dass beide Bereiche unterschiedliche Ziele verfolgen:
Die Pflegeleistungen sollen gesundheitlich bedingte Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten ausgleichen.
Die Leistungen für Menschen mit Behinderungen sollen die volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ermöglichen.
Natürlich gibt es Überschneidungen. Doch es ist wichtig, die unterschiedlichen Ziele vor Augen zu haben, um die individuell passenden Leistungen beantragen zu können.
Die wichtigsten Leistungen für Menschen mit Behinderungen sind
- Eingliederungshilfe (inklusive Assistenzleistungen)
- Behindertenpauschbetrag
- Nachteilsausgleiche, wie Vergünstigungen bei Steuern und im öffentlichen Nahverkehr (nur für Menschen mit Schwerbehindertenausweis)
- familienunterstützender Dienst (für Eltern eines Kindes mit Behinderung)
All diese Leistungen können zusätzlich zu Pflegeleistungen in Anspruch genommen werden!
Verschiedene Stellen beraten zu den Leistungen. Die „Behindertenhilfe“ berät zu allgemeinen Themen wie Recht, Steuern, Hilfsmitteln, Umbauten, aber auch zu persönlicher Assistenz, speziellen Hilfsangeboten für Menschen mit Behinderung sowie sozialen oder psychischen Problemen. Die Behindertenhilfe wird von unterschiedlichen Vereinen angeboten, etwa Caritas, Diakonie, Rotes Kreuz und BAG Selbsthilfe. Nach einer Beratung in der Nähe können Sie im Internet suchen, etwa unter https://www.familienratgeber.de/beratung-hilfe/beratung/behindertenhilfe.php.
Die „Unabhängige Teilhabeberatung“ ist spezialisiert auf Fragen zur sozialen Teilhabe und deren Organisation sowie Finanzierung. Die Beratung ist staatlich finanziert, unabhängig und kostenlos. Die Beraterinnen und Berater haben häufig selbst eine Behinderung oder sind mit Menschen verwandt oder befreundet, die eine Behinderung haben. Sie kennen daher die besonderen Lebensumstände und können dadurch meist besonders passend beraten. Details erfahren Sie unter https://www.teilhabeberatung.de.
Eingliederungshilfe
Die wichtigste Unterstützung neben klassischen Pflegeleistungen ist für viele Menschen mit Behinderungen die Eingliederungshilfe. Sie soll die Teilhabe an Bildung und am sozialen Leben erleichtern sowie die medizinische und berufliche Rehabilitation ermöglichen. Seit dem Jahr 2020 können alle Menschen mit Behinderungen die Eingliederungshilfe nutzen – unabhängig von ihrem Einkommen. Je nach finanzieller Situation müssen Betroffene einen kleinen Eigenbeitrag leisten. Der Großteil wird aber von einem Amt oder einer Versicherung bezahlt. Für Pflegebedürftige sind vor allem die Leistungen zur sozialen Teilhabe und die medizinische Reha oft nützlich.
Beispiele für Leistungen zur sozialen Teilhabe sind
- Unterstützung beim Umbau oder der Ausstattung der Wohnung / des Wohnhauses
- Assistenzleistungen, etwa bei der Haushaltsführung oder der Freizeitgestaltung
- Leistungen zur Mobilität, etwa Fahrdienste
- Hilfe beim Erwerb praktischer Fähigkeiten, wie das Erlernen von Blindenschrift
- Finanzierung von spezifischen Hilfsmitteln, wie etwa barrierefreie Computer
- für Kleinkinder mit Behinderungen: Frühförderung
Eine medizinische Reha kommt dann in Betracht, wenn der Gesundheitszustand einer Person verbessert oder eine Verschlechterung hinausgezögert werden soll. Für Menschen ab 70 Jahren – mit oder ohne Behinderung – ist oft die geriatrische Reha die beste Option. Dabei kümmern sich verschiedene Heilbehandler (Ärzte, Fachärzte, Psychiater, Physiotherapeuten und weitere) um die ganzheitliche Behandlung einer Person mit mehreren Krankheiten und/oder Einschränkungen. Der Fokus liegt nie auf einem einzelnen Problem, sondern der Mensch als Ganzes soll behandelt werden. Eine geriatrische Reha ist in einer stationären Reha-Einrichtung oder mithilfe von ambulanten Dienstleistern am Wohnort möglich. In Ausnahmefällen ist auch eine mobile Reha möglich, bei der die Behandler zur betroffenen Person nach Hause kommen. Für alle Varianten ist eine Verordnung mit Begründung nötig, weshalb die Reha geeignet wäre, das Leben zu verbessern.
Insbesondere Kinder und junge Erwachsene mit Behinderungen können von Leistungen im Bereich Bildung profitieren, wenn sie eine Schule oder später eine Hochschule besuchen wollen und dabei Unterstützung brauchen. Aber auch ältere Menschen können sie bekommen, wenn sie sich fort- oder weiterbilden wollen. Beispiele wären
- eine Begleitung zum Unterricht
- eine Kommunikationshilfe, wie einen Sprachcomputer
- die Finanzierung von Beratungen für Betroffene, Angehörige und die Bildungsstätte
Je nach Unterstützungsart sind verschiedene Ämter, Behörden und Versicherungen für die Gewährung und Auszahlung der Eingliederungshilfen zuständig. Manche Leistungen werden direkt abgerechnet, für andere erhält man einen Zuschuss und kann sich die Hilfe selbst organisieren. Die Geldleistung wird auch „Persönliches Budget“ genannt. Ob und was genau möglich ist, wird in einem sogenannten Teilhabeplanverfahren festgelegt.
Teilhabeplanverfahren
Menschen mit Behinderungen sollten nicht mit verschiedenen Ämtern und Behörden diskutieren müssen, um ihre gesetzlich verbrieften Rechte nutzen zu können. Deshalb gibt es seit Kurzem den Teilhabeplan. Wegen einer Gesetzesänderung sind die zuständigen Behörden nun verpflichtet zusammenzuarbeiten, um Betroffenen zügig und möglichst unkompliziert „wie aus einer Hand“ die ihnen zustehenden Leistungen zukommen zu lassen – selbst wenn diese von so unterschiedlichen Trägern kommen wie der Rentenversicherung, dem Sozialamt und der Unfallkasse. Die Details zur Umsetzung sind festgelegt im Bundesteilhabegesetz.
Als Beispiel beschreibt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) auf seiner Webseite:
„Ist ein Mensch mit Gehbehinderungen z. B. auf einen Rollstuhl angewiesen und benötigt zudem noch Assistenzleistungen, wurden in der Vergangenheit vielfach zwei Leistungen bei zwei unterschiedlichen Stellen beantragt; der Rollstuhl bei der Krankenkasse und die Assistenzleistung, z. B. ein Fahrdienst, bei dem Träger der Eingliederungshilfe. Nun genügt ein Antrag für beide Leistungen bei lediglich einem der beiden Träger, der die Leistungen in einem Teilhabeplan zusammenführen und abstimmen muss. Das bedeutet für die Betroffenen eine erhebliche Erleichterung und Zeitersparnis.“
Betroffene müssen jetzt nicht mehr wissen, wer wofür zuständig ist, sondern können bei irgendeinem möglicherweise zuständigen Amt oder einer Versicherung einen Antrag auf Leistungen für Menschen mit Behinderungen stellen. Dieses Amt oder diese Versicherung muss den Antrag dann bearbeiten oder an die zuständige Stelle weiterleiten, die sich dann kümmert. In jedem Fall startet dann das Teilhabeplanverfahren.
Gut zu wissen!
Das Teilhabeplanverfahren muss unter anderem transparent, lebensnah und konsensorientiert sein. Es sollten sich also am Ende alle einig sein, welche Unterstützung sinnvoll ist, wer diese erbringen soll und wer das organisiert und bezahlt.
Zunächst werden die Unterlagen gesichtet und eventuell Nachfragen gestellt. Dann wird ein Teilhabeplan erstellt. Darin muss stehen
- an welchem Tag der Antrag eingegangen ist,
- welche Träger wofür zuständig sind,
- was der individuelle Bedarf ist und wie dieser ermittelt wurde, z.B. durch einen Fragebogen oder einen Hör-/ Sehtest,
- ob andere Dienste und Einrichtungen einbezogen werden sollen und
- wie die Wünsche des Menschen mit Behinderung berücksichtigt werden.
Wenn mehrere Stellen beteiligt sind, muss klar werden, dass sie einvernehmlich den genannten Bedarf festgestellt haben. Eventuell sind weitere Informationen und Stellungnahmen enthalten, etwa von der Bundesagentur für Arbeit. Sobald es etwas komplizierter wird, kann es sinnvoll sein, eine sogenannte Teilhabeplankonferenz durchzuführen. Damit ist gemeint, dass die betroffene Person gemeinsam mit allen beteiligten Stellen sowie eventuell mit pflegenden Angehörigen oder einem rechtlichen Betreuer besprechen kann, was sie braucht und sich wünscht. Die Ergebnisse werden im Teilhabeplan festgehalten. Das klingt erstmal kompliziert, ist aber ein etabliertes Verfahren, das es den Betroffenen erleichtert, nach dem ersten Anlauf zügig Hilfe im Alltag zu bekommen.
Behindertenpauschbetrag
Den Behindertenpauschbetrag konnten lange Zeit nur Personen mit einer anerkannten Schwerbehinderung, also einem GdB von mindestens 50, nutzen. Seit einer Gesetzesänderung im Jahr 2021 ist das anders. Nun können alle Menschen mit einer Behinderung, also ab einem GdB von 20, den Behindertenpauschbetrag in ihrer Steuererklärung geltend machen. Je nach GdB beträgt dieser jährlich zwischen 384 und 7400 Euro (Stand: Mai 2022). Mit den Merkzeichen H (Hilflos) und Bl (Blind), TBl (Taubblind), Pflegegrad 4 oder 5 lässt sich unabhängig vom GdB der Höchstbetrag nutzen.
Der Pauschbetrag soll auf unkomplizierte Weise eine finanzielle Unterstützung leisten, da Menschen mit Behinderungen fast immer höhere Ausgaben haben als solche ohne. Um den Betrag steuerlich geltend machen zu können, muss nichts nachgewiesen werden. Nur wenn die tatsächlichen Ausgaben aufgrund der Behinderung deutlich höher waren, lohnt sich der Eintrag mit Einzelbelegen.
Gut zu wissen!
Der Behindertenpauschbetrag ist für den Menschen mit Behinderung. Er ist nicht zu verwechseln mit dem Pflegepauschbetrag. Diesen erhält die Pflegeperson.
Berufstätige mit Behinderungen können den Pauschbetrag statt in der Steuererklärung auch direkt auf der Lohnsteuerkarte eintragen lassen. Dann bekommen sie jeden Monat etwas mehr Gehalt und müssen nicht bis zur nächsten Steuererklärung warten. Dafür ist ein Antrag auf Lohnsteuerermäßigung beim Finanzamt notwendig.
Nachteilsausgleiche
Mit einem Schwerbehindertenausweis können Betroffene verschiedene Nachteilsausgleiche in Anspruch nehmen, die auf ihre spezifische Behinderung zugeschnitten sind. Menschen mit Gehbehinderungen können zum Beispiel die Parkplätze mit dem Rollstuhlsymbol nutzen oder sehr günstig mit dem öffentlichen Nahverkehr fahren. Blinde dürfen kostenlos eine Begleitperson oder einen Blindenhund mitnehmen. Und wer kaum die Angebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nutzen kann, der muss diese auch nicht wie üblich bezahlen.
Wertschätzender Umgang
Wenn Betroffene und Angehörige einmal wissen, welche Rechte sie haben und wo sie sich welche Unterstützungsleistungen besorgen können, ist schonmal viel gewonnen. Dennoch ist das letztlich nur ein Baustein. Den Alltag müssen Betroffene auf beiden Seiten selbst meistern.
In besonderem Maße ist dabei ein wertschätzender Umgang wichtig – und nicht immer leicht. Gerade weil Behinderungen und eine Pflegebedürftigkeit zu besonderen Lebensumständen führen, sind pflegende und sorgende Angehörige besonders gefordert. Es kann hilfreich sein, sich in schwierigen Situationen ein paar grundlegende Tipps in Erinnerung zu rufen:
- Unterstützung zunächst anbieten. Und nicht sofort leisten. Menschen mit Behinderungen können einiges selbstständig, wenn sie genug Zeit dafür haben. Nachdem Sie Hilfe angeboten haben, warten Sie, wenn möglich, zunächst eine Antwort ab, bevor Sie eingreifen.
- Distanz beachten. Ein Gefühl für einen Wohlfühlabstand haben auch viele Menschen mit Behinderungen. Sofern es nicht für Hilfsleistungen nötig ist, sollten Sie diesen Abstand einhalten. Fragen Sie nach oder kündigen Sie an, wenn Sie den anderen berühren wollen.
- Gut kommunizieren. Vermeiden Sie Missverständnisse, die entstehen, weil dem anderen doch klar sein müsste, was Sie vorhaben. Kommunizieren Sie lieber etwas zu viel als zu wenig. Sprechen Sie stets mit der betroffenen Person und nicht über sie. Reden Sie deutlich, aber schreien Sie nicht. Sprechen Sie in einfachen Worten, aber nicht in Babysprache. Versuchen Sie, dem anderen Menschen auch kommunikativ mit Respekt zu begegnen.
Je nach Behinderung ist nicht alles davon immer möglich. Stets geduldig zu bleiben, auch wenn der andere einem gerade den letzten Nerv zu rauben droht, ist schwer und manchmal unmöglich. Doch alles, was machbar ist, dürfte für beide Seiten zu einem besseren Ergebnis und auch zu einem besseren Gefühl führen. Übungen zur „Gewaltfreien Kommunikation“ nach Rosenberg können dabei helfen, dass eine empathische und lösungsorientierte Kommunikation auf Augenhöhe möglich ist.
Unterstützte Kommunikation
In manchen Lebenslagen kann eine technische Unterstützung bei der Kommunikation sehr hilfreich sein. In dem Moment, wo sich Betroffene nicht oder nur unzureichend durch gesprochene Sprache verständlich machen können, brauchen sie andere Wege. Viele Erwachsene haben es schon einmal erlebt, dass kleine Kinder mit Gesten, Fingerzeigen und Lauten recht deutlich machen können, was sie sich wünschen. Auch Kinder unterschiedlicher Nationen, die nicht die gleiche Sprache sprechen, sind meist nach kurzer Zeit in der Lage, sich trotzdem zu verständigen. Diese Kompetenz besitzt potenziell jede Person. Die Kunst besteht darin, eine gute gemeinsame Ebene der Kommunikation zu finden, sodass sich alle Beteiligten verstehen.
Was innerhalb einer Familie noch mit Gesten oder Blicken funktionieren mag, ist im Gespräch mit Fremden für Menschen mit einer Behinderung häufig ein Problem. Hier können anerkannte Gebärden oder der Einsatz von grafischen Symbolen nützlich sein, aber auch technische Hilfsmittel. Sprachausgabegeräte können je nach Komplexität und den Fähigkeiten des Benutzenden eine recht präzise und eigenständige Kommunikation auch mit Fremden ermöglichen, die sich nicht mit Gebärdensprache oder ähnlichem auskennen. Das macht Menschen mit Behinderungen unabhängiger und erlaubt es ihnen, bis zu einem gewissen Grad auf unvorhergesehene Situationen reagieren zu können, etwa wenn nicht die gewohnte Pflegerin kommt, sondern der Pflegedienst spontan einen Ersatz schicken musste. Dann ist es für alle Beteiligten gut, wenn die Technik helfen kann, die Hürden der schwierigen Kommunikation zu überwinden. Solche technischen Hilfsmittel lassen sich als Teil der Eingliederungshilfe finanzieren. Viele Ideen, was möglich ist, liefert die Gesellschaft für Unterstützte Kommunikation auf https://www.gesellschaft-uk.org/.
Besonderheit: Kinder mit Behinderung
Wenn ein Kind mit einer Behinderung geboren wurde oder durch eine Krankheit oder einen Unfall dauerhaft geschädigt wird, stehen die Eltern vor einer ganz besonderen Herausforderung. Der Gesetzgeber sieht verschiedene Hilfen für solche Familien vor. Eine besonders wichtige Unterstützung neben den üblichen Pflegeleistungen und den bereits genannten Hilfen für Menschen mit Behinderung stellt der familienunterstützende Dienst (FuD) dar. Manchmal wird er auch familienentlastender Dienst (FeD) genannt. Beides meint das gleiche: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Dienstes unterstützen Familien, in denen ein Kind oder ein Erwachsener mit einer Behinderung lebt, indem sie regelmäßig Familienaufgaben übernehmen.
Das kann zum Beispiel so aussehen:
- Eine Mitarbeiterin kümmert sich einmal pro Woche für mehrere Stunden um einen Jungen im Grundschulalter mit einer körperlichen Behinderung. Währenddessen kann die Mutter exklusive Zeit mit ihrer jüngeren Tochter ohne Behinderung verbringen.
- Ein Mitarbeiter begleitet ein Mädchen mit einer geistigen Behinderung täglich in die Kita. Dort hilft er bei der Kommunikation, unterstützt beim Essen und Trinken und kümmert sich um sie, falls sie einen aggressiven Schub hat. Dank des FuD kann das Kind eine integrative Kita besuchen, in der auch viele Kinder ohne Behinderung sind. Später ist mithilfe des FuD-Inklusionsbegleiters auch der Besuch einer Grundschule möglich.
- Klassische Entlastungsarbeiten wie Putzen, Waschen, Einkaufen sind ebenfalls möglich, damit die Eltern mehr Zeit für die Familie haben.
TIPP
Die Leistungen des FuD können als Entlastungsleistungen von der Pflegekasse und zusätzlich über die Eingliederungshilfe finanziert werden. Die Pflegekasse finanziert die Leistungen mit dem Ziel, dass die Familienmitglieder entlastet werden, die mit einem Kind mit Behinderung zusammenleben. Die Eingliederungshilfe unterstützt die Menschen mit Behinderungen selbst.
Es gibt viele verschieden Optionen, wie Pflegeleistungen, Eingliederungshilfe und weitere Hilfsangebote kombiniert werden können in Familien, in denen ein Kind mit Behinderung lebt. Eine sehr ausführliche Übersicht mit vielen konkreten Beispielfällen bietet die Broschüre „Berufstätig sein mit einem behinderten Kind“ . Sie ist auch unabhängig von einer Berufstätigkeit sehr nützlich für Eltern eines Kindes mit Behinderung.
Egal, ob Kinder oder Senioren mit einer Behinderung pflegerisch versorgt werden: Es ist sinnvoll, die unabhängige Teilhabeberatung zu nutzen und dann einen Teilhabeplan von einem Träger erstellen zu lassen, um möglichst viele Unterstützungsleistungen im Alltag nutzen zu können. Pflegebedürftige, die bisher keinen Antrag auf Anerkennung einer Behinderung gestellt haben, sollten spätestens ab Pflegegrad 3 darüber nachdenken, ob das nicht sinnvoll wäre. Sowohl sie selbst als auch die pflegenden Angehörigen können durch die Kombination von Leistungen im Alltag finanziell profitieren und auch organisatorisch deutlich entlastet werden.