Zwischen Pflegenden und Pflegebedürftigen besteht ein ganz besonderes Verhältnis, das nicht immer leicht ist. Für Pflegebedürftige ist es oft schwer, sich damit zu arrangieren, auf Hilfe angewiesen zu sein. Für Pflegende kann die Situation in Überforderung umschlagen, wenn viel zu viel zu tun ist und keine Zeit für Ruhephasen bleibt. Die Gesamtsituation kann dazu führen, dass Pflegende oder Pflegebedürftige aggressiv werden. Das sollte kein Tabu sein.

Viel hilfreicher für alle Beteiligten ist es zu verstehen: Warum macht mich dieses Verhalten aggressiv? Wie kann ich darauf bestmöglich reagieren? Und wo bekomme ich Hilfe, wenn ich das nicht schaffe?

Das Wichtigste in Kürze

  • Pflegebedürftige verdienen einen besonderen Schutz vor Gewalt
  • Sowohl Pflegende als auch Pflegebedürftige werden manchmal gewalttätig
  • Gewalt bedeutet nicht nur Schläge, sondern beispielsweise auch anschreien, absichtlich lange warten lassen, Mithilfe verweigern oder gegen den Willen zu etwas nötigen
  • Krankheiten wie Demenz können Gefühle von Ohnmacht oder Minderwertigkeit verstärken und die Persönlichkeit verändern – sie sind aber kein Freifahrtschein für Aggressivität
  • Stress, Ungeduld, Enttäuschung und Wut sind natürliche Reaktionen und jeder Mensch kann lernen, damit konstruktiv umzugehen
  • Entspannungstechniken und regelmäßige Entlastung sind wichtig, damit Pflegende langfristig den Pflege-Alltag meistern können

Definition: Was ist überhaupt Gewalt?

Was ein Mensch als Gewalt empfindet, ist abhängig von persönlichen Erfahrungen, kulturellen Werten und gesellschaftlichen Normen. Die Definition des Psychologen und Entwicklers der gewaltfreien Kommunikation, Marshall B. Rosenberg, lautet recht allgemein:

„Alle Form von Gewalt ist ein tragischer Ausdruck unerfüllter Bedürfnisse.“

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) wird etwas konkreter. Sie definiert sogar explizit Gewalt gegenüber älteren Menschen und zwar folgendermaßen:

„Unter Gewalt gegen ältere Menschen versteht man eine einmalige oder wiederholte Handlung oder das Unterlassen einer angemessenen Reaktion im Rahmen einer Vertrauensbeziehung, wodurch einer älteren Person Schaden oder Leid zugefügt wird.“

Die Deutsche Stiftung Zentrum für Qualität in der Pflege (ZQP) teilt Gewaltformen gegenüber Pflegebedürftigen in fünf verschiedene Formen auf:

  1. Körperliche Gewalt
  2. Psychische Gewalt
  3. Vernachlässigung
  4. Finanzielle Ausbeutung
  5. Intime Übergriffe

Zur körperlichen Gewalt gehören Schläge. Darüber sind sich die allermeisten Menschen einig. Doch auch andere Taten sind eine Form der körperlichen Gewalt, etwa

  • grob anfassen, extra fest kämmen, ruckartig bewegen
  • absichtlich unbequem hinlegen oder -setzen
  • besonders heiß oder kalt waschen
  • zum Essen zwingen oder besonders schnell füttern
  • Essen oder Trinken verweigern
  • aus Bequemlichkeit freiheitsentziehende Maßnahmen einsetzen, wie Gurte oder Gitter
  • nicht verordnete Medikamente geben, um die pflegebedürftige Person ruhig zu stellen
  • Hilfsmittel wegnehmen oder verstecken, wie Brille, Gehstock, Prothese oder Rollator

Noch schwerer als die körperliche ist für viele Menschen die psychische Gewalt zu definieren. Einige Beispiele wären:

  • unangemessene Ansprache, wie schreien, sich lustig machen oder Babysprache
  • Wünsche ignorieren oder deren Erfüllung extra lange hinauszögern
  • nicht zu Wort kommen lassen 
  • Bedürfnisse nicht ernst nehmen
  • Privatsphäre verweigern, indem man beispielsweise das Zimmer betritt, ohne anzuklopfen oder keine Zweisamkeit ermöglicht
  • Blickkontakt verweigern
  • religiöse Vorschriften missachten

Unter Vernachlässigung ist schlechte körperliche Pflege ebenso zu verstehen wie das Verweigern von Bewegung, bewusst falsche oder unangemessene Kleidungswahl oder das Ignorieren von Gefahren. Auch wer Pflegebedürftige finanziell ausnutzt, die Intimsphäre verletzt oder sogar sexuellen Kontakt erzwingt, wendet Gewalt an.

Gut zu wissen!

Nicht immer sind es Pflegende, die gewalttätig werden. Mitunter handeln auch Pflegebedürftige gewalttätig – entweder gegenüber Pflegepersonen oder gegenüber anderen Pflegebedürftigen, etwa in einem Heim. Da Aggressionen sich hochschaukeln können und Täter und Opfer teilweise gar nicht klar auszumachen sind, ist es nicht immer leicht, Gewalt eindeutig zu erkennen und zu vermeiden.

Beispiele: Wie erkennt man Gewalt in der Pflege?

Grundsätzlich lassen sich zwei Arten von Anzeichen für Gewalt in der Pflege unterscheiden: Äußere Anzeichen und Änderungen im Verhalten.

Zu den äußeren Anzeichen, die auf gewaltvolle Erfahrungen hindeuten können, gehören:

  • blaue Flecken, Kratzer, Abschürfungen oder Platzwunden
  • Rötungen oder Verletzungen im Intimbereich
  • Abdrücke auf der Haut, etwa von Seilen, Schnallen oder Gürteln
  • Flüssigkeitsmangel, Fehl- oder Unter-Ernährung
  • mangelnde Hygiene
  • Verwahrlosung, etwa kaputte Kleidung oder eine unsaubere Wohnung
  • mangelnde medizinische Versorgung 
  • Benommenheit durch Medikamente
  • Verschwinden von Geld, Schmuck oder anderen Wertgegenständen

Verhaltensänderungen, die auf Gewalterfahrungen in der Pflege hindeuten, sind bei pflegebedürftigen Menschen:

  • verändertes Verhalten, das nicht auf eine Erkrankung zurückzuführen ist: Die Betroffenen sind beispielsweise ungewöhnlich scheu, verängstigt, schreckhaft, sprachlos, teilnahmslos, verwirrt, aufgeregt, aggressiv oder übertrieben respektvoll.
  • ungewohnte und ausgeprägte Schlaflosigkeit
  • selbstverletzendes Verhalten

Wenn Pflegende Gewalt erfahren, kann sich das zum Beispiel folgendermaßen äußern:

  • Die Betroffenen sind auffallend angespannt oder überfürsorglich oder legen ein sehr starkes Kontrollbedürfnis gegenüber der pflegebedürftigen Person an den Tag.
  • Sie reagieren sehr ablehnend auf Fragen nach Verletzungen oder verstricken sich in Widersprüche.
  • Sie lassen körperliche Verletzungen bewusst von unterschiedlichen Personen behandeln oder warten unverhältnismäßig lange ab, bevor sie sich an einen Arzt oder eine Ärztin wenden.

Ursachen: Wie kommt es zur Gewalt in der Pflege?

Der Pflege-Alltag ist anstrengend. Für alle Beteiligten. Dementsprechend liegen manchmal die Nerven blank und das kann Stress, Ungeduld, Enttäuschung und Wut auslösen. Das wiederum kann zu gewalttätigem Handeln führen.

Wie häufig kommt es zu Gewalt in der Pflege?

Pflegebedürftige sind auf Hilfe angewiesen und können sich teilweise nicht mehr so gut äußern. Dementsprechend schwierig ist es zu erfassen, ob und welche Gewalterfahrungen sie machen. Zwar gibt es immer wieder Befragungen zu diesem Thema, doch die Rate der Betroffenen schwankt je nach Studie zwischen einem und 35 Prozent. Auf Grundlage der europaweit durchgeführten ABUEL-Studie aus dem Jahr 2010 schätzt die WHO, dass knapp drei Prozent aller Über-60-Jährigen in Europa innerhalb eines Jahres mindestens einmal körperliche Gewalt erfahren, etwa 20 Prozent von psychischer Gewalt betroffen sind, knapp vier Prozent in irgendeiner Form finanziell ausgebeutet werden und weniger als 1 Prozent eine Form sexueller Gewalt erleben. Die Dunkelziffer wird als tendenziell eher hoch eingeschätzt. Vermutlich sind also noch mehr Menschen betroffen.

Studien zeigen, dass bestimmte Umstände aggressives Verhalten fördern oder verstärken können. Zum einen ist das die meist hohe Belastung der Pflegenden, die teils zu Schlafmangel, Einsamkeit, gesundheitlichen Problemen und manchmal auch zu kritischem Alkoholkonsum führt. Zum anderen existiert häufig ein ausgeprägtes Machtgefälle zwischen pflegender und zu pflegender Person.

Hinzu können weitere Faktoren kommen. Wenn eine oder beide Seiten nie gelernt haben, wie man gut mit stressigen Konfliktsituationen umgeht, dann ist es schwer, nicht gewalttätig zu werden. Insbesondere wenn erwachsene Kinder die Pflege ihrer Eltern übernehmen und diese früher häufig unangemessen reagiert haben, können sich die Gefühle aus Kindertagen plötzlich Bahn brechen, wenn die Rollen nun vertauscht sind.

Auch bestimmte Krankheiten der pflegebedürftigen Person, die das Gehirn betreffen, können den Umgang miteinander erschweren – sowohl, wenn die erkrankte Person sich nicht (mehr) logisch verhält, als auch wenn die Pflegeperson nicht genau über die Krankheitsentwicklung Bescheid weiß. Dann kann sie anstrengendes Verhalten womöglich nicht auf die Krankheit zurückführen, sondern bezieht diese auf sich persönlich. Auch Armut kann eine Rolle spielen. Wenn es permanent schwierig ist, genügend Lebensmittel einzukaufen, vielleicht sogar das Pflegegeld für den Lebensunterhalt gebraucht wird, dann ist eine entspannte Pflegesituation kaum möglich.

In Pflegeheimen kommt häufig noch eine hohe Arbeitsbelastung aufgrund von Fachkräftemangel hinzu. Die Pflegenden haben nicht immer die Zeit, auf alle Wünsche individuell einzugehen. Die Bewohnerinnen und Bewohner fühlen sich wiederum teilweise hilf- und orientierungslos, manche vereinsamen, fühlen sich abgehängt und haben mitunter selbst gewaltvolle Erfahrungen in der Kindheit gemacht. Wenn sie nun am „kürzeren Hebel“ sitzen und sich den örtlichen Umständen unterordnen müssen, werden einige von ihnen aus Angst oder Stress aggressiv.

Gut zu wissen!

Insbesondere körperliche und psychische Gewalt können auch aus Versehen geschehen. Wenn Pflegende unter Zeitdruck arbeiten müssen oder Pflegebedürftige krankheitsbedingt ihr Verhalten nicht mehr so gut einschätzen und kontrollieren können, dann wollen sie dem anderen Menschen vermutlich nicht weh tun. Für Betroffene macht das aber meist keinen Unterschied, weil das gewalttätige Verhalten ihnen so oder so weh tut. 

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass neben der konkreten Pflegesituation auch die gesellschaftlichen, ökonomischen, politischen und institutionellen Rahmenbedingungen, die Geschlechterrollen, die Beziehungsqualität und die Merkmale der betroffenen Persönlichkeiten eine Rolle dafür spielen, ob es zu Gewalt in der Pflege kommt oder nicht.

Folgen von Gewalt in der Pflege

Kommt es immer wieder zu Gewalt in der Pflege, kann das langfristige Folgen für die Betroffenen haben. Je nach Art, Dauer und sonstigen Lebensumständen können die Lebensqualität, die körperliche und die seelische Gesundheit von Pflegebedürftigen und auch von Pflegenden stark leiden. Es kann passieren, dass Betroffene sich permanent gestresst, verzweifelt oder hilflos fühlen. Solche Gefühle können in Gegengewalt umschlagen, sodass sich ein Teufelskreis entwickelt.

Beispiel für Folgen von Gewalt

Die Pflegerin ist im Stress. Eine unbedachte Äußerung führt zu einem Gefühl der Hilflosigkeit beim Pflegebedürftigen. Er verweigert daraufhin die Mithilfe beim Essen. Das stresst die Pflegerin noch mehr und sie schreit ihn an. Der Pflegebedürftige verschränkt die Arme, verschließt den Mund und macht nun gar nichts mehr. Die Pflegerin muss fertig werden und sieht als einzige Wahl: Entweder ich zwinge ihn zum Essen oder er muss heute hungern.

Das hat direkte Auswirkungen und kann zusätzlich in die Zukunft hinein wirken. Beim nächsten Mal sind Pflegerin und Pflegebedürftiger vielleicht immer noch angespannt, weil die Mahlzeit so schlecht verlaufen ist. Vielleicht haben auch andere Pflegebedürftige die Szene mitbekommen, wenn sie sich im Gruppenraum eines Pflegeheims abgespielt hat. Diejenigen, die zugeschaut haben, sind dann möglicherweise ebenfalls verängstigt oder schämen sich, weil sie nicht eingegriffen haben, oder werden vom Pflegebedürftigen nach der Mahlzeit noch angeschrien, weil seine Aggressionen sich Bahn brechen. Im schlimmsten Fall kann auf diese Weise selbst ein winzig-kleiner Konflikt große Kreise ziehen und die Stimmung langfristig verschlechtern. Daher ist es besonders wichtig, möglichst jede Form von Gewalt zu vermeiden.

Kann Gewalt angemessen sein?

In Worten und Taten stets gewaltfrei zu handeln, ist gerade in der Pflege nicht immer leicht. Die Umstände sind oft schwierig. Viele Pflegende und Pflegebedürftige haben außerdem nur ein vages Gefühl dafür, was noch „in Ordnung“ ist, was jemanden wie stark verletzen könnte und welches Verhalten auch juristisch strafbar ist. Erschwerend hinzu kommt, dass das Gefühl der Gewalterfahrung sehr unterschiedlich ist und eine gewaltvolle Handlung sich je nach Variante auch nur schwer nachweisen lässt.

Grundsätzlich lässt sich sagen, dass es gegen deutsches Recht verstößt, absichtlich und bewusst gewalttätig gegenüber einer pflegebedürftigen Person zu handeln. Wer das tut, muss eine Strafe und Schmerzensgeldforderung fürchten. Denn jeder Mensch in Deutschland hat das Recht auf körperliche und seelische Unversehrtheit, auf Freiheit und Sicherheit. So steht es im Grundgesetz und in der Pflege-Charta.

Trotzdem kann es Situationen geben, in denen sich Pflegende gegen die Wünsche einer pflegebedürftigen Person durchsetzen müssen, etwa wenn diese ihre Lage nicht mehr sinnvoll einschätzen kann. In solchen Fällen kann es beispielsweise nötig sein, jemanden gegen seinen Willen zu füttern, nach einer Operation für kurze Zeit zu fixieren oder bestimmte Medikamente zu verabreichen. Solche Handlungen sind aber grundsätzlich nur mit einer richterlichen Erlaubnis und in engen Grenzen erlaubt.

TIPP!

Wenn Sie sich als Pflegende unsicher sind, was Sie dürfen, dann können Sie sich kostenlos bei einem Betreuungsverein in der Nähe beraten lassen. Die geschulten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kennen sich mit dem deutschen Betreuungsrecht aus, in dem unter anderem festgelegt ist, unter welchen Bedingungen jemand „zu seinem Glück gezwungen“ werden darf. Die örtlichen Pflegestützpunkte, das Amtsgericht oder das Gesundheitsamt können Kontaktdaten nennen.

Wie lässt sich Gewalt vermeiden?

Damit es möglichst nicht zu Gewalt in der Pflege kommt, sind vorbeugende Maßnahmen in allen betroffenen Bereichen nötig. Besonders wichtig ist es, zunächst einmal anzuerkennen, dass es zu Gewalt in der Pflege kommen kann. Alle Beteiligten sollten sich dieser Gefahr bewusst sein.

Grundsätzliche Maßnahmen zur Prävention

Um ein Auge dafür zu bekommen, wann und wie sich Gewalt in der Pflege Bahn bricht und was sich dagegen tun lässt, sind Informationen nötig. Für privat Pflegende gibt es thematisch passende Pflegekurse. Professionelles Pflegepersonal kann entsprechende Fortbildungen besuchen.

Außerdem müssen die Rahmenbedingungen von Pflege insgesamt besser werden. Wenn Pflegende – egal ob privat oder professionell – permanent am Rande der Überforderung agieren, dann ist die Gefahr für aggressives Verhalten viel größer als in einer entspannten Pflegesituation. Privat Pflegende sollten daher unbedingt die Möglichkeit der Entlastungsleistungen, von Tagespflege, Verhinderungspflege und Kurzzeitpflege nutzen, um zwischendurch selbst wieder Kraft schöpfen zu können. Auch Gespräche mit Gleichgesinnten, etwa in Onlineforen oder in einer örtlichen Gesprächsgruppe für pflegende Angehörige, können helfen.

Das ist besonders wichtig, wenn ein Mensch mit Demenz gepflegt wird. Durch die Krankheit verändern sich die Betroffenen und das ist für alle Beteiligten in der Regel ein schmerzhafter und schwieriger Prozess. Die Hilflosigkeit, die Erkrankte häufig spüren, weil sie die Kontrolle über ihr Leben verlieren, kann schnell in Aggression umschlagen. Zwar ist das nicht immer der Fall und auch eine Demenzerkrankung sollte kein Freifahrtschein für aggressives Verhalten sein. Doch häufig sind Pflegende von Menschen mit Demenz mit diesen Veränderungen konfrontiert. Dann ist es gut, über die Krankheit Bescheid zu wissen, Angriffe möglichst nicht persönlich zu nehmen und sich mit anderen Pflegenden austauschen zu können, die ähnliche Erfahrungen machen oder gemacht haben. Seit der Corona-Pandemie ist das deutlich leichter auch online möglich. 

Gewalt akut vermeiden

Wenn es trotzdem zu Wut oder Genervtheit kommt, dann ist es hilfreich, solche als negativ bekannten Gefühle zunächst einmal möglichst wohlwollend zur Kenntnis zu nehmen. Die Seele versucht zu warnen, dass ihr gerade etwas nicht gut tut. Das ist erstmal nicht schlimm, sondern eine natürliche Schutzreaktion.

Entscheidend ist der weitere Umgang mit diesen Gefühlen. Im Idealfall führen sie nicht zu aggressivem Verhalten, sondern man schafft es, etwas an der Situation zu ändern. Dafür ist meist Rat und Hilfe von außen nötig. Auch Entspannungsübungen, die man regelmäßig durchführt und die in einer kritischen Situation abgerufen werden können, sind oft hilfreich.

Unsere Tipps, wenn Ihre Gefühle „hochkochen“:

  • Nehmen Sie Ihren Ärger wahr, aber versuchen Sie trotzdem, ruhig zu bleiben.
  • Ändern Sie, wenn möglich, etwas an der auslösenden Situation.
  • Wenn das nicht möglich ist und Sie merken, dass Sie kurz davor stehen, Gewalt anzuwenden, verlassen Sie für einige Minuten den Raum. Tun Sie etwas, was Ihnen beim Entspannen hilft, etwa Durchatmen, Ohrläppchen kneten, sich eine Waldlichtung vorstellen, ein beruhigendes Lied summen, ein Mantra aufsagen, … Jedem Menschen hilft etwas anderes. Gehen Sie danach zurück und beenden Sie Ihre Arbeit möglichst ruhig.

Wenn die andere Seite aggressiv wird:

  • Überlegen Sie, was zur aktuellen Aggression geführt haben könnte. Hat die Person Angst? Schmerzen? Hunger? Fühlt sie sich vielleicht bedroht? Oder schämt sie sich?
  • Bleiben Sie ruhig. Halten Sie Augenkontakt und sprechen Sie mit klarer, sehr ruhiger Stimme.
  • Räumen Sie Gegenstände außer Reichweite, mit denen die aggressive Person sich selbst, Sie oder jemand anderen verletzen könnte.
  • Versuchen Sie, das eigentliche Problem zu lösen, indem Sie beispielsweise etwas zu essen, ein Medikament, eine ruhigere Umgebung oder ähnliches anbieten.
  • Holen Sie sich im Bedarfsfall Unterstützung.

Langfristige Strategien

Wenn es immer wieder zu kritischen Momenten kommt, ist es perspektivisch sinnvoll, etwas an der Grundsituation zu ändern. Dazu gehört folgendes:

  • Üben Sie, aufkeimende Gefühle von Wut, Frust oder Ungeduld frühzeitig bei sich zu bemerken. Beobachten Sie, was typische Auslöser dafür sind.
  • Wenn die andere Seite häufiger aggressiv wird, versuchen Sie, typische Auslöser zu erkennen. Sofern möglich, schlagen Sie vor, an einigen Fähigkeiten zu arbeiten, zum Beispiel das Gleichgewicht zu schulen, an einem Inkontinenztraining mitzumachen, oder ähnliches. Manchmal muss auch nur das Selbstwertgefühl etwas aufgerichtet werden.
  • Sprechen Sie, wenn möglich, mit der betroffenen Person über Ihre Erkenntnisse. Schildern Sie eine konkrete Wut-Situation, aus Ihrer Sicht, ohne Vorwürfe zu machen. Überlegen Sie gemeinsam, wie Sie ähnliches in Zukunft vermeiden können.
  • Falls ein Gespräch nicht möglich ist, etwa weil die betroffene Person schwer an Demenz erkrankt ist, dann überlegen Sie, ob bestimmte Pflegetätigkeiten, die Sie besonders fordern, von jemand anderem übernommen werden können.
  • Suchen Sie sich anderweitige Unterstützung, etwa in Form von Entlastungsleistungen im Haushalt.
  • Beschäftigen Sie sich mit dem Konzept der gewaltfreien Kommunikation nach Rosenberg.
  • Sorgen Sie auch für sich selbst.

Selbstfürsorge

Viele Pflegende unternehmen kaum noch etwas Schönes, weil sie dafür keine Zeit haben. Das ist aber eine folgenschwere Entscheidung, da jeder Mensch nur in dem Maße anderen helfen kann, wie die eigenen Akkus es hergeben. Wer nie etwas für sich tut, der bricht irgendwann zusammen. Typische Anzeichen für eine Überforderung und nicht-ausreichende Selbstfürsorge sind:

  • häufige Kopf- und/oder Rückenschmerzen ohne organische Ursache
  • Magen-Darm-Beschwerden
  • Herzrasen ohne Erkrankung
  • ständige Müdigkeit und/oder Schlafstörungen
  • Gereiztheit
  • Niedergeschlagenheit
  • Gefühl der permanenten Überforderung, eventuell plus schlechtes Gewissen

Wer eins oder mehrere Anzeichen der Überlastung bei sich wahrnimmt, sollte gegensteuern. Besonders in stressigen Pflegezeiten ist es wichtig, sich trotzdem Inseln für kleine Auszeiten zu schaffen. Folgende Tipps helfen:

  • Planen Sie feste Termine in Ihren Alltag ein, die für körperliche Entspannung sorgen, etwa Joggen, Yoga, Tanzen oder Muskelentspannung.
  • Tun Sie zusätzlich oder alternativ etwas, um Ihre Seele zu entspannen, etwa Malen, Singen oder Musik hören.
  • Schlafen Sie ausreichend!
  • Ernähren Sie sich gesund.
  • Wenn Sie Kaffee zum Wachbleiben und/oder Alkohol zum Einschlafen brauchen, dann sollten Sie etwas ändern.
  • Tauschen Sie sich mit anderen Pflegenden über Ihre Erfahrungen aus.
  • Nutzen Sie eine professionelle psychologische Beratung, wenn die Sorgen Ihren Alltag bestimmen.

Wenn Sie dafür keine Zeit haben, dann versuchen Sie, welche zu schaffen. Lernen Sie zum Beispiel Techniken, um sich körperlich und psychisch nicht zu überfordern, etwa in einem kostenfreien Pflegekurs. Nutzen Sie praktische Hilfsmittel, die Ihnen die Pflege erleichtern. Lassen Sie sich im Alltag helfen. Fragen Sie dazu in der Familie, im Freundeskreis oder in der Nachbarschaft nach Unterstützung. Oder nutzen Sie ehrenamtliche Hilfen. Wenn alles zu viel wird, dann geben Sie einen Teil der Pflege an Profis ab – auch wenn die pflegebedürftige Person das vielleicht nicht will. Es ist Ihr gutes Recht, dass auch Sie als Pflegeperson noch ein Leben und Bedürfnisse haben. Und es ist niemandem geholfen, wenn Sie sich derart aufreiben, dass Sie sich selbst und die pflegebedürftige Person gefährden.

Hilfreiche Anlaufstellen

Verschiedene Studien kommen zu dem Schluss, dass es neutrale Hilfsstellen geben sollte, die Betroffenen weiterhelfen, wenn es zu Gewalt in der Pflege kommt. Dabei geht es um Ansprechpartner für die Opfer von Gewalt, aber auch um Hilfe und Unterstützung für die Täter. Denn die allermeisten wollten nie gewalttätig werden. 

Entscheidend für einen besseren Umgang miteinander ist oft die sogenannte Fehlerkultur. Egal ob im Heim oder zuhause: Wenn es zu Gewalt in der Pflege kommt, müssen alle Beteiligten die Möglichkeit haben, sich Hilfe zu suchen, um ein Eskalieren in Zukunft zu vermeiden. Wenn aber ausschließlich Ärger und Strafe drohen und es keine Hilfe gibt, dann wird Gewalt eher verschwiegen. Es muss also Anlaufstellen geben, an die man sich vertrauensvoll wenden kann, weil sie helfen statt zu bestrafen. Mancherorts gibt es solche Stellen beziehungsweise Krisentelefone bereits. Details erfahren Sie beispielsweise im örtlichen Pflegestützpunkt.

Eine ebenfalls sinnvolle Anlaufstelle ist die psychologische Online-Beratung „Pflegen und Leben“ (https://www.pflegen-und-leben.de). Pflegende und sorgende Angehörige können sich schriftlich oder im Online-Gespräch beraten lassen, wenn sie von der Pflege überfordert sind und nicht weiter wissen. Die Unterstützung ist individuell, kostenfrei, datensicher und auf Wunsch anonym.

Gewalt in der Pflege vorbeugen: 10 Tipps, die schützen können

Manchmal haben Außenstehende den Eindruck, dass die Pflege nicht optimal läuft. Dann ist es sinnvoll, genau hinzusehen, um die Situation idealerweise verbessern zu können. Das ZQP gibt auf seiner Webseite zehn Tipps, wie man sich verhalten kann, um Gewalt in der Pflege zu bemerken und rechtzeitig adäquat zu handeln. Diese lauten:

1. Anzeichen wahrnehmen

Achten Sie auf große und kleine Anzeichen von Gewaltauswirkungen. Die pflegebedürftige Person erzählt vielleicht nicht von sich aus davon, dass ihr Gewalt angetan wurde.

2. Beobachtungen ansprechen

Sprechen Sie die pflegebedürftige Person darauf an, wenn Ihnen etwas Ungewöhnliches auffällt. Tun Sie das am besten, wenn Sie unter vier Augen sind. Versuchen Sie herauszufinden, was passiert ist und wie die betroffene Person sich dabei gefühlt hat. Fragen Sie, welches Verhalten sie sich wünschen würde.

3. Hilfe anbieten

Bieten Sie konkrete Hilfe an. Fragen Sie zum Beispiel, ob Sie jemanden informieren sollen, etwa Angehörige, einen Pfleger, die Hausärztin oder eine rechtliche Betreuerin. Betonen Sie, dass die pflegebedürftige Person ein Recht darauf hat, würdevoll behandelt zu werden.

4. Alles dokumentieren

Machen Sie sich Notizen: Was haben Sie, wann bemerkt? Wie hat sich die Situation verändert? Wie ist das Gespräch mit der pflegebedürftigen Person verlaufen? Die Details können später helfen, Ihre Beobachtungen zu melden.

5. Position beziehen

Wenn Sie wissen, wer die Gewalt ausgeübt hat, sprechen Sie die Person in einem ruhigen Moment darauf an – möglichst unter vier Augen. Bleiben Sie unbedingt sachlich. Beschreiben Sie, was Ihnen aufgefallen ist und wie die pflegebedürftige Person sich in den kritischen Momenten gefühlt hat. Sie sollten nicht drohen, aber deutlich machen, dass das Verhalten nicht in Ordnung war und sich nicht wiederholen sollte.

6. Verantwortliches Personal verständigen

Berichten Sie Ihre Beobachtungen zeitnah einer höheren Stelle, etwa der Leitung der Einrichtung oder des Pflegedienstes. Fragen Sie, was nun zu tun ist. Wenn es keine angemessene Reaktion gibt, wenden Sie sich an den Träger der Organisation oder an die Geschäftsleitung.

7. Ärztliche Untersuchung anregen

Wenn es zu Verletzungen gekommen ist, dann schlagen Sie vor, dass diese ärztlich untersucht und dokumentiert werden sollten. Das ist möglich bei Hausarzt oder -ärztin oder bei speziellen rechtsmedizinischen Untersuchungsstellen.

8. Beschwerden anbringen

Informieren Sie die zuständige Stelle. Das ist auch anonym und telefonisch möglich. Diese Stellen müssen reagieren: Der Medizinische Dienst (https://www.medizinischerdienst.de/) für gesetzlich Krankenversicherte, der Prüfdienst des Verbands der Privaten Krankenversicherung (https://www.pkv-ombudsmann.de/servicebereich/kontakt/) für privat Krankenversicherte, die örtliche Heimaufsicht für Menschen, die im Pflegeheim leben. Mancherorts gibt es zusätzlich eine kommunale Beschwerdestelle. Die Kontaktdaten der örtlichen Stellen erhalten Sie beim Bürgeramt, bei der Pflegeversicherung oder einem Pflegestützpunkt.

9. Rat holen

Wenn Sie unsicher sind, wie es weitergehen soll, holen Sie sich Rat bei einer Beschwerdestelle. Das ist zum Beispiel möglich bei einer Pflegeberatungsstelle oder einem Krisentelefon (https://www.pflege-gewalt.de/beratung/krisentelefone/). Das Pflegetelefon des Bundesfamilienministeriums erreichen Sie unter 030 / 2017 91 31.

10. Polizei rufen

Wenn eine Person körperlich verletzt ist oder gefährlich vernachlässigt wurde, melden Sie das an die örtliche Polizei (https://www.polizei.de/Polizei/DE/Home/home_node.html). In dringenden Notfällen wählen Sie die 112. Menschen mit einer Sprech- oder Hörbehinderung können einen schriftlichen Notruf über die nora-App (https://www.nora-notruf.de/de-as/startseite), die offizielle Notruf-App der Bundesländer, absenden.

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