Plötzlich verhält sich Ihr Angehöriger anders: Er erscheint unaufmerksam, orientierungslos und nicht richtig bei Sinnen. Diese Symptome können auf ein Delir hindeuten, ein Zustand von akuter Verwirrung, der lebensbedrohlich sein kann. Ein Delirium entwickelt sich innerhalb eines kurzen Zeitraums, Angehörige werden davon oft regelrecht überrascht. Doch einige Risikofaktoren können Sie im Vorfeld ausräumen – wir erklären Ihnen, wie Sie eine Delir-Prophylaxe betreiben.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Delir-Prävention greift auf ein Bündel an Maßnahmen zurück, um ein Delirium zu verhindern.
- In erster Linie geht es bei der Delir-Prävention darum, Risikofaktoren auszuräumen oder zu minimieren.
- Zur Vorbeugung ist es wichtig, körperliche und psychische Stressfaktoren in Form von Fieber oder wechselndem Pflegepersonal möglichst zu vermeiden.
- Es gibt viele Einflussfaktoren, auf die pflegende Angehörige positiv einwirken können: Pflegebedürftige sollten regelmäßig sozial interagieren, abwechslungsreich essen und ausreichend trinken.
Warum ist eine Delir-Prävention wichtig?
Die kurzfristigen Auswirkungen eines Delirs unterscheiden sich von Person zu Person. In der Regel zeigen Betroffene Schwächen bei der Aufmerksamkeit, der Orientierung und der Wahrnehmung. Einige Patienten erschaffen Fantasiegebilde und durchleben Halluzinationen – pflegenden Angehörigen können Aggressionen und Streitlust begegnen. Manche Menschen mit einem Delirium sind aber auch eher schläfrig und ruhig, was eine Diagnose erschwert. Bei rechtzeitiger Behandlung kann ein Delir ebenso schnell vergehen, wie es gekommen ist – innerhalb weniger Tage. Manchmal erstreckt sich der Genesungsprozess aber auch über mehrere Wochen oder sogar Monate, das gilt insbesondere für ältere Patienten. Bei einem Delir besteht zudem das Risiko einer chronischen Hirnfunktionsstörung – die Personen werden dabei nicht wieder ganz gesund, sondern leiden dauerhaft an demenzähnlichen Beschwerden. Bis zu zwei Jahre nach dem Ereignis tragen Betroffene ein erhöhtes Risiko mit sich, und zwar für kognitive sowie funktionelle Verschlechterungen, eine Unterbringung im Pflegeheim und das Versterben. Dadurch, dass ein Delirium ernstzunehmende Folgen haben kann, ist es wichtig, dem medizinischen Problem mit einer Delir-Prophylaxe vorzubeugen – das klappt auch bei der häuslichen Pflege.
Gefahr erkannt, Gefahr gebannt? Risikofaktoren für ein Delir
Es gibt viele Auslöser und Risikofaktoren bei einem Delirium. Neben einer lang andauernden Narkose während einer Operation spielen unter anderem Infektionen, eine Unterernährung und Flüssigkeitsmangel eine Rolle. Insbesondere bei älteren Menschen treffen mehrere Risikofaktoren aufeinander und erhöhen die Wahrscheinlichkeit für ein Delir. Durch Alterungsprozesse nehmen körperliche Funktionen wie das Sehen und Hören ab, dadurch können Menschen ihre Umgebung nicht mehr so gut wahrnehmen, das kann Stress auslösen. Apropos Stress: Mit dem Alter reduziert sich eine wichtige Substanz im Körper, die Gehirnzellen miteinander kommunizieren lässt, und zwar Acetylcholin. Stress, zum Beispiel durch eine Medikamenteneinnahme oder durch Umgebungsfaktoren hervorgerufen, kann den Acetylcholinspiegel weiter absenken und die Gehirnfunktionen erschweren. Dementsprechend können psychische und körperliche Belastungen ein Delir begünstigen. Experten erkennen auch spezielle Lebensumstände, wie ein isoliertes Leben im Alter, Einsamkeit oder den Verbleib in einer Pflegeeinrichtung als Risikofaktoren an.
Gut zu wissen!
Zu den häufigsten Ursachen eines Deliriums zählen Infektionen, Dehydrierung und die Einnahme ausgewählter Medikamente.
Übersicht: So begegnen Ärzte und Pflegepersonen Risikofaktoren
Bei der Delir-Prophylaxe ist es wichtig, Risikofaktoren zu minimieren oder am besten vollständig zu beseitigen – das gelingt jedoch nicht immer. Folgende Tabelle zeigt Ihnen Risikofaktoren und mögliche Ansatzpunkte.
Risikofaktor/Ursachen für ein Delir
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Mögliche Gegenmaßnahmen
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Hohes Lebensalter (insbesondere 80+) | Keine |
Reduziertes Hör- und Sehvermögen | Versorgung mit Hilfsmitteln, wie einem Hörgerät oder einer Brille |
Erkrankungen des zentralen Nervensystems wie Schlaganfall, Hirntumor, Epilepsie, Hirnhautentzündung, Morbus Parkinson oder Demenz |
Möglicher Einfluss über medikamentöse Behandlung, um beispielsweise einen erneuten Schlaganfall zu verhindern |
Infektionen wie eine Harnwegsinfektion oder COVID 19 | Auf Infektionsanzeichen wie Unwohlsein, Schmerzen und Fieber achten und zeitnah einen Arztbesuch einplanen |
Umgebungsfaktoren wie kaum soziale Kontakte, unzureichende Möglichkeiten zur Orientierung, Ortswechsel |
Viele Möglichkeiten zur Orientierung schaffen, unter anderem mittels Uhr und Kalender im Zimmer, häufige Besuche von Angehörigen und Bekannten, gleichbleibende Umgebung |
Psychische und physische Belastungen durch Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus, Stress, Schmerzen |
Medikamentöse Behandlung der Schmerzen, Reduzierung von Stressfaktoren, Sicherstellung einer ungestörten Nachtruhe |
Langanhaltende Narkose | Geringe Narkosebelastung, moderne Verfahren wie Regional- oder Rückenmarkanästhesie |
Unterernährung, Flüssigkeitsmangel | Kontrolle der Essens- und Flüssigkeitsaufnahme, bei Bedarf Unterstützung durch Angebote wie Essen auf Rädern |
Einnahme von drei oder mehr Arzneimitteln | Absprache mit dem Arzt, ob eventuell Medikamente reduziert werden können – in keinem Fall eigenmächtig absetzen! |
Delir in der häuslichen Pflege vorbeugen: 10 Tipps für wichtige Alltagsbereiche
Das Gehirn braucht eine regelmäßige Ansprache, aber auch den Zugang zu Nährstoffen und Erholung, um gut zu funktionieren. Im Pflegealltag können Sie vieles dafür tun, dass sich Ihr Angehöriger beispielsweise gut orientieren kann – wir geben Ihnen einen Überblick über Maßnahmen, mit denen Sie einem Delir vorbeugen.
1. Delir-Prävention: Schaffen Sie eine behagliche Atmosphäre
Insbesondere bei älteren Menschen ist eine vertraute und verlässliche Umgebung sehr wichtig – sie schafft ein Gefühl von Sicherheit, während fremde Räumlichkeiten stark verunsichern können. Muss Ihr Angehöriger beispielsweise vorübergehend in die Kurzzeitpflege, ist es sinnvoll, direkt zu Beginn eine behagliche Atmosphäre zu erzeugen. Dazu trägt das Abspielen entspannender Musik bei oder das Ansehen vertrauter Gegenstände wie eines Fotoalbums oder einer lieb gewonnenen Porzellanfigur. Auch eine Lieblingsdecke vermittelt Ihrem Familienmitglied die nötige Sicherheit. Da die Delir-Symptome vor allem in den späten Nachmittags- und Abendstunden auftreten, planen Sie am besten zu dieser Zeit einen Besuch ein. So bemerken Sie schnell, wenn Ihr Angehöriger sich anders verhält.
2. Delir-Prävention: Informieren Sie Ärzte und Pflegepersonal über Risikofaktoren
Schwerstpflegebedürftige Menschen können meist nicht ausreichend Auskunft über ihren gesundheitlichen Zustand geben. Umso wichtiger ist es, dass Sie als Angehöriger die Informationsweitergabe unterstützen. Ein Delir kann beispielsweise auftreten, wenn Personen bei einer Alkoholkrankheit abrupt mit dem Trinken aufhören oder nach einer langen Einnahme Beruhigungsmittel wie Benzodiazepine absetzen. Weitere Risikofaktoren sind bestehende Erkrankungen wie Parkinson oder Demenz. Bringt Ihr Familienmitglied diese oder weitere Risikofaktoren mit, sollten Sie die Mediziner im Krankenhaus oder die Pflegekräfte eines ambulanten Pflegedienstes schnellstmöglich darüber informieren. Sie können daraufhin die kognitive Leistung engmaschiger kontrollieren.
3. Delir-Prävention: Begleiten Sie Ihren Angehörigen zu wichtigen Terminen
Ein Arzttermin, ein Behördengang, das Ansehen einer Einrichtung für eine Tages- und Nachtpflege – diese und weitere terminliche Verpflichtungen lösen bei Ihrem Angehörigen womöglich Stress und Angst aus. Tatsächlich kann ein Ortswechsel die Nerven älterer Menschen auf eine harte Probe stellen. Sie als Familienmitglied können ihm nun Sicherheit signalisieren. Begleiten Sie Ihren Angehörigen zu Terminen, fahren Sie ihn beispielsweise hin, geben Sie wichtige Dokumente wie Pflegeberichte oder Arztbriefe ab und unterstützen Sie die Kommunikation vor Ort. Seien Sie stets ansprechbar für Ihren Angehörigen und erklären Sie Vorgänge.
4. Delir-Prävention: Fördern Sie die Orientierung
Wer sich gut in seiner Umgebung orientieren kann, leidet in der Regel unter weniger Stress und Verwirrung. Außerdem trägt eine gelungene Orientierung zum Erhalt eines geregelten Schlaf-Wach-Rhythmus bei – ist Ihrem Angehörigen beispielsweise bewusst, dass er sich in den Abendstunden befindet, kann er die Nachtruhe einleiten. Um die Orientierung zu fördern, können Sie in vielfach genutzten Räumlichkeiten, wie dem Wohnzimmer oder dem Schlafzimmer, hilfreiche Gegenstände platzieren. Dazu zählen vor allem ein Wandkalender, eine Uhr oder ein Wecker. Auch eine regionale Tageszeitung kann bei der zeitlichen Orientierung helfen – wie wäre es, wenn Sie für Ihr Familienmitglied ein Abonnement abschließen? Unterhalten Sie sich bei Ihrem Besuch regelmäßig darüber, was im Ort geschieht und welcher Wochentag oder welche Tageszeit gerade vorliegt.
5. Delir-Prävention: Gestalten Sie den Alltag ansprechend
Der Alltag ist für Ihren Angehörigen viel mehr, als bloßes Abarbeiten von Aufgaben. Genauso wie Sie sehnt sich Ihr Familienmitglied nach aufmunternden, anregenden und entspannenden Aktivitäten. Soziale Interaktion ist in dem Zusammenhang besonders wichtig, denn laut Experten ist Einsamkeit ein Risikofaktor für ein Delirium. Statten Sie Ihrem Familienmitglied regelmäßig Besuche ab und organisieren Sie eine Teilnahme am Seniorentreff. In der gemeinsamen Zeit können Kreuzworträtsel gelöst oder Lieder gesungen werden. Die Aktivitäten sollten jedoch nicht in Alltagsstress ausarten – vermeiden Sie daher zu viele Besucher gleichzeitig, starke Reize wie grelles Licht oder laute Hintergrundgeräusche durch einen Fernseher. Für Betreuungs- und Entlastungsleistungen können Sie übrigens den sogenannten Entlastungsbetrag einplanen – dieser beträgt 125 Euro pro Monat und ist auch für einen Alltagsbegleiter gedacht, der mit Ihrem Angehörigen unter anderem musizieren kann.
6. Delir-Prävention: Reduzieren Sie psychische Stressfaktoren
Eine dramatische Diagnose, traumatische Erlebnisse wie den Verlust eines nahestehenden Menschen oder häufiger Personalwechsel in der Pflege – all das sind Beispiele für psychische Stressfaktoren, die ein Delirium begünstigen. Natürlich können Sie Ihrem Angehörigen nicht alles abnehmen, auch er wird sich ab und an mal gestresst fühlen, aber große vermeidbare Stressauslöser sollten Sie sicherheitshalber aus dem Alltag verbannen. Bieten Sie regelmäßige Gespräche an, um herauszufinden, was Ihr Familienmitglied als Stress empfindet, und organisieren Sie Unterstützung, zum Beispiel in Form einer Haushaltshilfe. Zur Verarbeitung von traumatischen Erlebnissen kann eine Gesprächstherapie sinnvoll sein. Oft brauchen Umstellungen im Alltag Zeit – um Stress auch kurzfristig abzubauen, können Sie gemeinsam mit Ihrem Familienmitglied auf bewährte Entspannungstechniken, wie die progressive Muskelentspannung oder geführte Meditationen, zurückgreifen.
7. Delir-Prävention: Achten Sie auf eine gute Ernährung
Das Gehirn ist auf verschiedene Nährstoffe angewiesen. Flüssigkeitsmangel und eine Unterernährung können nicht nur Kreislaufprobleme, sondern auch eine Verwirrtheit und ein Delir hervorrufen. Tatsächlich reagiert der Körper im Alter besonders sensibel auf eine Unterversorgung oder eine Fehlernährung. Ihr Angehöriger benötigt regelmäßig Makronährstoffe wie Kohlenhydrate, Fette und Eiweiß zur Energiegewinnung. Mikronährstoffe wie Vitamine, Mineralstoffe und Aminosäuren sind ebenfalls wichtig. Die Ernährung im Alter sollte abwechslungsreich sein – ältere Personen brauchen weniger Kalorien, aber genauso viele Vitamine und Mineralstoffe wie junge Menschen. Um nachzuhalten, wie viel und was Ihr Angehöriger isst, können Sie ein Ernährungsprotokoll führen. Außerdem ist es sinnvoll, bei den Mahlzeiten ab und an anwesend zu sein – nicht nur, um eine gewisse Kontrolle zu gewährleisten, sondern auch, weil Gemeinschaft zum Essen motiviert. Sehr entscheidend zur Vorbeugung eines Deliriums ist eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr – die Deutsche Gesellschaft für Ernährung rät zu mindestens 1,5 Litern Trinkflüssigkeit pro Tag.
Expertentipp von Dipl.-Ges.oec. (FH) Jennifer Ann Steinort:
„Vergisst Ihr Familienmitglied oft das Trinken, können Sie zu Hilfsmitteln wie einem Trinkwächter mit elektronischer Erinnerungsfunktion greifen.“
8. Delir-Prävention: Besprechen Sie den Medikamentenplan
Auf dem Medikamentenplan älterer Menschen stehen oft viele verschiedene Präparate. Die Einnahme von drei oder mehr Arzneimitteln erhöht das Risiko, ein Delir zu entwickeln. Zu den Medikamenten, die ein Delir verursachen können, gehören blutdrucksenkende Medikamente wie Betablocker, Kortikosteroide, Levodopa (bei Parkinson verabreicht), Muskelrelaxantien und selbst harmlose Arzneien wie rezeptfreie Antihistaminika. Insbesondere bei einer langen Medikamentenliste ist es sinnvoll, mit dem behandelnden Mediziner zu besprechen, ob einige davon abgesetzt werden können. Doch Vorsicht: Das sollte niemals eigenmächtig geschehen, um keine gesundheitliche Gefährdung zu riskieren.
9. Delir-Prävention: Vereinbaren Sie Arzttermine
Klagt Ihr Angehöriger über Beschwerden oder bereitet Ihnen sein Gesundheitszustand Sorgen, sollten Sie einen Arzttermin vereinbaren. Das dient dazu, mögliche Risikofaktoren in Form von Erkrankungen, wie einer Demenz oder Infektionen, aufzudecken und trägt dazu bei, ein Delirium frühzeitig zu erkennen. Beschreiben Sie die Beschwerden Ihres Angehörigen bereits am Telefon möglichst präzise, damit Sie zeitnah vorbeikommen können. Achtung: Bei einer akuten Verwirrtheit kann ein lebensbedrohlicher Zustand vorliegen – scheuen Sie sich nicht, den Krankenwagen zu verständigen.
10. Delir-Prävention: Helfen Sie bei der Versorgung mit Hilfsmitteln
Bei bestehenden Defiziten tragen Hörgeräte und Sehhilfen zur Orientierung bei. Gibt es Anzeichen dafür, dass Ihr Angehöriger schlecht sieht oder hört – fällt es ihm beispielsweise schwer, zu lesen, oder bekommt er nur Gesprächsfetzen mit, sollten Sie mit Ihrem Familienmitglied zunächst eine Praxis für Augenheilkunde oder für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde aufsuchen. Nach einigen Tests steht fest, ob Ihr Angehöriger ein Hilfsmittel benötigt, dass ihm den Alltag vereinfacht. Unterstützen Sie Ihr Familienmitglied auch auf dem weiteren Weg, beispielsweise beim Besuch des Hörgeräteakustikers. Denken Sie daran, dass eine gute Orientierung im Alltag wichtig für die Sturzprävention ist und um einer Verwirrung vorzubeugen.